Unser Karriere-Navi braucht ein Update

Berufswege in Deutschland waren einmal wie das Fahren auf der Autobahn: Gut planbar, schnell zielführend, eintönig. Das ist vorbei. Denn viele Menschen suchen heute Arbeitsplätze mit Sinn. Und viele Unternehmen mit Sinn suchen Arbeitnehmer. Was sich tun muss, damit beide zusammenfinden, beschreibt der Sozialunternehmer Dennis Hoenig-Ohnsorg.

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© Julia Quentel

Ich habe an einer Business School studiert. Für viele meiner Kommilitonen dort war ich ein sozialer Exot. Denn ich steckte mehr Zeit in eigene Projekte als in Bewerbungen. Themen wie Corporate Responsibility oder Social Entrepreneurship interessierten mich viel mehr als Unternehmensberatung oder Investment Banking. Für jemanden wie mich gab es damals keine Blaupause für den Karriereweg. Ich hatte nicht die Wahl. Also nahm ich mir die Freiheit, mir meinen eigenen Lebensweg samt „Karriere“ selbst zu gestalten.

Nach meinem Abschluss forschte ich zu Indikatoren für beruflichen Erfolg und machte eine Ausbildung als Karrierecoach. Vor zehn Jahren gründete ich mein erstes Sozialunternehmen und schmiss einige Jahre später meine Promotion hin. Denn ich wollte bei "Ashoka" einsteigen: die älteste und größte internationale Organisation zur Förderung von Sozialunternehmern - von Gründern also, für deren Firmen die Lösung gesellschaftlicher Probleme im Zentrum ihrer Geschäftstätigkeit steht.

Ich selbst also hatte „meinen Job“ gefunden. Trotzdem behielt das Thema Karrierewege seine Aktualität für mich: denn ich merkte schnell, dass vielen Sozialunternehmern der Zugang zu den richtigen Köpfen fehlte, um ihre Ideen zum Wachsen zu bringen. Das Resultat: Millionen Menschen profitieren nicht von Innovationen in Bildung, Integration, Umweltschutz und Gesundheit.

Doch wie passt das zu dem öffentlichen Diskurs über die „Generation Why“ und die scheinbar unzähligen Sinnsucher da draußen? Als Ashoka und McKinsey 2012 für ihre Studie „Karrierewegen für Weltveränderer“ von den Befragten wissen wollten, ob sie in einem Job arbeiten würden, den sie nicht als sinnstiftend erleben, verneinten dies 39 Prozent. Sinnsuchende Arbeitnehmer und sinnstiftende Arbeitgeber - wie können sie zusammenfinden?

Traditionell sind Karrierewege in Unternehmen in Deutschland gut mit der Fahrt auf einer Autobahn vergleichbar: zahlreiche Orientierungsangebote weisen nach dem Bildungsabschluss den Weg zur Auffahrt. Einmal unterwegs, kommt man relativ planbar voran und weiß – abgesehen von kleineren Spurwechseln – schon recht früh, in welche Richtung die Reise gehen kann und wird. Die Navigation eingeschaltet, das Ziel vor Augen. Aber derartig planbare Karrierewege werden immer seltener geboten und nachgefragt.

Doch diese planbaren Karrierewege werden immer seltener geboten und gefragt. Was muss sich nun also auf dem Arbeitsmarkt ändern, damit sich mehr Menschen auf die Suche nach neuen Karrierewegen begeben sich dann auch für sie entscheiden? Diese Frage beschäftigt mich nun bereits seit einigen Jahren und so stolpere ich immer wieder über spannende Initiativen, lerne aber auch viel über die Ängste und Hoffnungen der Talente, die sich abseits etablierter Pfade bewegen.

Klar ist: Unser persönliches Karriere-Navi braucht ein Update mit ansprechenden Rastplätzen, sichtbaren Ausfahrten und neuen Straßenkarten um auch auf Abwegen nicht die Orientierung zu verlieren.

Die Jobs der Zukunft – Karrierewege werden vielfältiger

Vom "Idealberuf auf Lebenszeit" oder eindeutigen Definitionen von Karriereerfolg geht auch die Karriereforschung längst nicht mehr aus. Immer mehr Menschen gestalten ihren Karrierewege hingegen proaktiv und entlang eigener Ziele vielfältig. Insgesamt sollen die Jobs der Zukunft selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Arbeiten in abwechslungsreichen Themen bieten, intellektuell anspruchsvoll sein und dem Mitarbeiter die Möglichkeit bieten schnell Verantwortung zu übernehmen, zeigte die erwähnte Studie. Besonders attraktiv erscheinen den Befragten Tätigkeitsfelder, die unternehmerisches Denken und Handeln ermöglichen und die gesellschaftliche Wirkung des eigenen Engagements erlebbar machen.

In scharfem Kontrast dazu steht das Bild, das die Menschen vom sozialen Sektor als Arbeitgeber haben: die meisten gehen davon aus, dass man dort nur unterbezahlte und wenig anspruchsvolle Jobs mit geringer Verantwortung und ohne unternehmerische Freiheit findet. Insbesondere Sozialunternehmer müssen an ihrer diesbezüglichen Selbstdarstellung, an ihrem "Employer Branding" arbeiten: bieten doch häufig gerade sie herausfordernde Aufgaben in oft kleinen, unternehmerisch agierenden Teams an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und sozialem Sektor. Dafür fordern sie hohen Einsatz von ihren Mitarbeitern, die auch besser bezahlte Karrierewege einschlagen könnten. Umso wichtiger sind die Entwicklungsmöglichkeiten, die sie bieten, etwa in Form von Raum für eigene Projekte, durch Coaching-Prozesse oder ein Studium neben dem Beruf.

Es braucht einen passenden Marktplatz, verbesserte Durchlässigkeit zwischen den Sektoren und mehr Vorbilder für außergewöhnliche Karrierewege, dann finden Angebot und Nachfrage zukünftig auch besser zusammen. Klingt nach viel Arbeit, doch im scheinbar konservativen Human-Ressources-Markt ist bereits viel in Bewegung geraten. Immer mehr Akteure arbeiten darauf hin, dass mehr Menschen ihren Lebensweg gestalten statt nur ihren Lebenslauf optimieren können.

Vom Lebenslauf zum Lebensweg – warum unser Karriere-Navi ein Update braucht

Die neuen Karrierewege werden dadurch anspruchsvoller für alle Seiten. Immer häufiger wechseln sich Phasen der Anstellung etwa mit Phasen der Selbstständigkeit ab; mal arbeitet man im Unternehmen, mal im Home-Office, mal im Team oder in der „Cloud“. Immer mehr Menschen wünschen sich Berufe und Karrierewege, in denen sie durch den Einsatz ihrer Fähigkeiten und Talente ihre (positive) gesellschaftliche Wirkung direkt erleben können.

Das Problem mit der Karriereautobahn: unsere Ausbildung bereitet uns nur für den ersten Job vor. Danach sind wir zur Orientierung auf Freunde und Kollegen angewiesen. Auch bisherige Angebote bringen uns da selten weiter. Karriereportale zeigen uns Alternativen, die unserem Job möglichst ähnlich sind und wenn uns mal ein Headhunter anruft, dann tut er dies sicher nicht, um uns in einen anderen Sektor abzuwerben. Mit ziemlicher Sicherheit bietet er uns den gleichen Job beim Wettbewerber an, nur für mehr Geld. Einmal Banker immer Banker?

Einige Initiativen haben begonnen, die langweiligen Raststätten entlang unserer Autobahn neu zu gestalten. Sie laden ein zum Innehalten, um uns Orientierung zu geben und auf ungewöhnliche Abfahrten vorzubereiten.

Die Imagine-Konferenz etwa öffnet einen Raum um sich mehr Klarheit für die nächsten Schritte auf seinem Lebensweg zu verschaffen. Der offene Austausch mit den anderen Teilnehmern zu den eigenen Werten und Wünschen bilden hierfür oft die Basis. Denn derartige Gespräche und Reflexionen kommen im Alltag oft zu kurz.

Wer als Absolvent nicht auf vorgegebenen Pfaden wandeln will, ist bei der Bildungsinitiative TeachFirstrichtig. Sie bietet Absolventen mit einem zweijährigen Einsatz in einer Brennpunktschule eine radikal andere Option für die erste Auffahrt auf ihre Karriereautobahn.

Wer sich nach einigen Jahren in einem Unternehmen Gründerluft schnuppern will, kann sich auf seinen Wechsel in die Startup-Szene beim Startup-Institute vorbereiten.

Die Gründerinnen von Tandemploy möchten es zwei oder mehr Menschen ermöglichen sich einen Job zu teilen. Denn beim Jobsharing gewinnen alle Beteiligten: die Unternehmen können komplexe Kompetenzprofile ausschreiben und die Mitarbeiter erhalten die Chance auf einen anspruchsvollen Teilzeitjob. Spannend ist das besonders für unternehmerische Menschen, die nach der Sicherheit der Festanstellung und der Flexibilität für Projekte in Selbstständigkeit suchen.

Der Unternehmer im Unternehmen – freie Radikale in festen Strukturen

Die Ergebnisse der Talent-Studie sprechen dafür, dass hohe Durchlässigkeit ein Pluspunkt bei der Positionierung von Unternehmen ist: die Chance auf Bindung und Attraktivität durch Loslassen sozusagen. Das betrifft die Eröffnung unternehmerischer Freiheiten und Engagementmöglichkeiten im Unternehmen selbst genauso wie die Steigerung der Durchlässigkeit zwischen den Sektoren.

Die Relevanz von sogenannten „Intrapreneuren“ hat Accenture erkannt. Gemeinsam mit Ashoka sucht das Unternehmen mit der „Liga der Intrapreneure“ nach den innovativsten gesellschaftlichen Lösungen von Konzernmitarbeitern. Weit über 200 Menschen haben sich mit ihren innovativen und skalierbaren Lösungen an dem Wettbewerb beteiligt. Anders als Sozialunternehmer tun sie dies jedoch nicht mit eigenem Risiko, sondern agieren als Mitarbeiter in großen Unternehmen.

Sinn-Jobs suchen oder schaffen – Hilfe bei den ersten Schritten

Immer mehr Menschen suchen aktiv nach beruflichen Tätigkeiten, die sie als sinnerfüllend empfinden. Talents4Good ist die erste Personalagentur Deutschlands, die Unternehmen und Organisationen bei der Besetzung ausgewählter Jobs und Projekte mit gesellschaftlicher Wirkung unterstützt. Vermittelt werden Talente auf allen Karrierestufen, in dauerhafte Positionen sowie in zeitlich begrenzte Aufgaben. Inzwischen gibt es auch immer mehr Datenbanken, die Suchenden einen guten Überblick über Jobs mit Sinn geben, so zum Beispiel: www.csr-jobs.de oder www.heldenrat.org.

Statt einen solchen Job zu suchen und sich darauf zu bewerben, würden andere ihr Engagement am liebsten zum Beruf machen und sich diesen selbst schaffen. Das Programm Engagement mit Perspektive (PEP) hilft dem sozialunternehmerischen Nachwuchs mit Finanzierung, Stipendien und Weiterbildungen dabei, die gesellschaftliche Wirkung ihrer eigenen Projekte zu steigern. 400 junge Sozialunternehmer hat PEP in den ersten zwei Jahren bereits erreicht. Gründungspartner SAP will jungen Menschen mit dem Programm Freiraum und Begleitung geben, um ihre Visionen zu entwickeln.

Und schließlich bietet ja auch Ideen³ verschiedene Formate zum „hereinschnuppern“, hier kann man Inspiration tanken und sich selbst gemeinsam mit Gleichgesinnten in Projekten ausprobieren.

Die Beispiele zeigen: der Umbau der Karriereautobahn kann spannende neue Fahrspuren und damit neue Räume für unternehmerische Freiheit und Engagement in und außerhalb von Unternehmen schaffen. Die Steigerung der Durchlässigkeit – also der Bau von Ab- und Auffahrten - kann dabei für zusätzliche Dynamik und produktive Befruchtung sorgen.

Egal ob als Mitarbeiter mit gesellschaftlichem Wirkungsanspruch oder als selbstständiger Sozialunternehmer: das Berufsleben verläuft nur noch selten linear - die Karriereautobahn braucht einen Umbau. Unser Karriereweg ist nicht mehr vorgegeben, wir können und müssen ihn proaktiv und entlang unserer eigenen Ziele gestalten. Das Bekannte in Frage zu stellen erfordert Mut und sorgt manchmal für Unsicherheit. Aber wie Ernst Ferstl sagt: „Auch Umwege erweitern unseren Horizont.“