CoronaCircles - Die Geschichte einer Lockdown-Initiative

22 Januar 2021

CoronaCircles

Griet Hellinkx über die Geschichte der Ideenhochdrei Lockdown-Initiative für selbstorganisierte Redekreise
CoronaCircles Schriftzug.jpeg


Wenige Tage nach Beginn des globalen COVID-19-Lockdowns lud Gerriet Schwen, ein 24-jähriger deutscher Student, einige Moderator*innen zu einem Online-Brainstorming ein, das sich mit der Frage beschäftigte: "Wie kann die Kraft der Gemeinschaft und des Teilens Menschen in diesen Zeiten des Corona-Virus unterstützen?". Ein paar Leute schlossen sich Gerriet an mit der Absicht, die kraftvolle Tradition der Kreisarbeit mit den aktuellen Möglichkeiten von Videokonferenzen zu verbinden. Daraus entstand die Methode und die Plattform CoronaCircles.

Ich begeisterte mich für das Projekt. Als Lehrerin, Moderatorin, Trainerin und Mentorin arbeitete ich seit mehreren Jahrzehnten mit jungen Menschen und Erwachsenen. Ich konnte meine Erfahrungen mit verschiedenen Formen der Kreisarbeit einbringen. The Circle Way war ein wesentlicher Bezugspunkt, ebenso wie Circles of Wisdom (Weisheitskreise), eine Methode, die ich entwickelt habe. Dem Kernteam schloss sich auch Michael Hoenninger (Deutschland) an, der am Eschwege Institut ausgebildet wird, einem Ort, an dem der Umgang mit Natur, Riten des Übergangs und Kreisarbeit (way of council) geschult werden.

Das Kernteam war sich schnell einig, Online-Räume anbieten zu wollen, in denen Menschen aus dem Herzen sprechen, sich gegenseitig zuhören und formulieren können, was ihnen wichtig ist. Wenn man sich auf die Definition der Kreisarbeit bezieht, wie sie in den Richtlinien von The Circle Way beschrieben ist, wird klar, dass "was ein Treffen in einen Circle verwandelt, die Bereitschaft der Menschen ist, von informellem Beisammensein oder rechthaberischer Diskussion in eine aufnahmebereite Haltung des nachdenklichen Sprechens und tiefen Zuhörens zu wechseln".

Wir überprüften, welche Kreiselemente es mindestens braucht, damit Menschen mit oder ohne Kreiserfahrung in diesen herausfordernden und komplexen Zeiten einen Geschmack von der Kraft dieser Art des Sprechens bekommen. Wir entschieden uns für eine einfache Struktur, von der wir hofften, dass sie es den Teilnehmenden ermöglichen würde, sich wohl zu fühlen. Sie besteht aus den folgenden Schritten:



- Eine kurze Begrüßung

- Ein Moment der Stille,

- Dann drei Runden:

1. Wer und wo bin ich?

2. Wie geht es mir? Was brauche ich? Was berührt oder inspiriert mich?

3. Was nehme ich aus diesem CoronaCircle mit?

Der Unterschied zu anderen Kommunikationsplattformen oder Social-Media-Chats liegt darin, dass wer teilnimmt einem Treffen mit einer klaren Struktur beitritt und dadurch im Idealfall die Erfahrung macht, was möglich wird, wenn es einen Raum für konzentrierten Austausch und aufmerksames Zuhören gibt. Die Vorgaben ermöglichen es, ohne Unterbrechung über die eigenen Erfahrungen und Herausforderungen zu sprechen und den anderen entsprechend zuzuhören. Viele Menschen haben nur selten die Erfahrung gemacht, dass ihnen ohne Unterbrechungen oder Kommentare zugehört wird. Bewusstes, tiefes Zuhören schult Fähigkeiten, die in diesen Zeiten dringend benötigt werden. So war es sicherlich nicht verwunderlich, dass das CoronaCircle-Projekt von Fackelträgern verschiedener Dialog- und Kreistraditionen begrüßt und befürwortet wurde.

Wir bieten die Richtlinien auf drei verschiedene Arten an, um sicherzustellen, dass sie für jeden zugänglich sind und helfen können, einen Raum zu schaffen, der sicher und klar ist:

- als Text auf der Website,

- in kurzen Videos, und

- in den E-Mails, die verschickt werden, wenn Menschen sich entscheiden, einen CoronaCircle zu veranstalten oder beizutreten.

Es ist wichtig, dass ein Gastgeber den Raum hält und sicherstellt, dass die Teilnehmenden die Richtlinien respektieren und keine Diskussion anfangen. Wir hatten erwartet, dass Menschen mit etwas Erfahrung als Gastgeber zuerst einspringen würden, um anderen die Möglichkeit zu geben, achtsames Teilen und Zuhören zu erfahren und sie allmählich zu befähigen, selbst Kreise zu moderieren. Dies geschah nicht so oft, wie wir gehofft hatten, so dass uns bewusst wurde, dass Selbstorganisation ihre Grenzen hat. Selbstbewusstes Moderieren ist eine Fähigkeit, die gefördert sein will.

Das Team machte sich ohne Budget, aber mit viel Idealismus auf den Weg, in dem Gefühl, dass dies unser kleiner Beitrag zur Bewältigung der globalen Krise war. Wir waren der Ansicht, dass es ein kostenloser, benutzerfreundlicher Service sein sollte, der für jeden verfügbar sei und von dem wir erwarteten, dass wir ihn innerhalb kurzer Zeit zum Laufen bringen könnten. Mit diesem Ziel vor Augen nahmen wir an einem 72-Stunden- und einem 48-Stunden-Hackathon teil. Ein Hackathon ist eine Sprint-ähnliche Design-Veranstaltung, bei der Computerprogrammierer*innen und andere an der Software-Entwicklung Beteiligte, darunter Grafikdesigner, Interface-Designer, Projektmanager*innen und Domänexpert*innen, intensiv an Software-Projekten zusammenarbeiten. Wir verstanden, dass das Ziel eines Hackathons darin besteht, innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit funktionierende Software zu erstellen. Wir hatten keine Ahnung, was auf uns zukommen würde! Für uns Nicht-Techniker*innen fühlte es sich wie ein Crash-Kurs an, wir mussten neue Vokabeln lernen, uns im Dschungel von tausenden von Expert*innen zurechtfinden, die uns potenziell helfen könnten, und uns gleichzeitig der Herausforderungen und Risiken unseres Unterfangens bewusst werden. Leute aus der ganzen Welt kamen kurz oder auch länger zu uns, um an der technischen Umsetzung mit zu arbeiten und uns Feedback und sogar rechtlichen Rat zu geben. Es war oft eine interessante Herausforderung, diesen Menschen einen Geschmack davon zu geben, was wir mit unserem Anliegen anstrebten, indem wir einige der Prinzipien, die uns am Herzen lagen, anwendeten!

Am Anfang war CoronaCircles als deutschsprachiges Angebot gedacht, aber als wir feststellten, dass wir mit nun auf Englisch mit Menschen aus Frankreich, Indien, Italien, Nepal, der Schweiz, Großbritannien und den USA kooperierten, machte es Sinn, das Projekt sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch weiter zu entwickeln. Es war eine erstaunliche und inspirierende Erfahrung, mit all diesen Menschen zusammenzuarbeiten und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es jedem in seinem eigenen Land in dieser Notlage ging.

Obwohl viele Stunden harter Arbeit in unser Projekt gesteckt wurden, hatten wir nach dem ersten Hackathon kein fertiges Produkt. Beim zweiten suchten wir nach Leuten, die die Probleme angehen konnten, für die keiner bis dahin die Expertise hatte. Doch wieder endeten wir mit einer unfertigen Version. Schließlich erhielt das Projekt finanzielle Unterstützung von Sagst, einer deutschen Stiftung. Dies ermöglichte es uns, Arne Bollinger einzuladen, jemanden mit Selbstorganisationserfahrung und einem starken Hintergrund in Frontend-Programmierun. Mit Hilfe eines weiteren IT-Kollegen, der auf Backend spezialisiert ist, entwickelten sie die derzeitige technische Struktur der Plattform.

Nachdem die Plattform online war, erhielten wir einen Zuschuss von The Circle Way, der es unserem IT-Team ermöglichte, ein Plug-in zu destillieren und es für jeden überall auf der Welt verfügbar zu machen. In der Informatik ist ein Plug-in eine Softwarekomponente, die einem Computerprogramm eine bestimmte Funktion hinzufügt. Wenn ein Programm Plug-Ins unterstützt, ermöglicht dies eine individuelle Anpassung. Das Plug-in, das für CoronaCircles entwickelt wurde, kann für jedes Projekt von Interesse sein, bei dem es um die Planung und das Einladungsmanagement von Videokonferenzräumen geht. Sie können es gerne verwenden!

Die Lernkurve bezüglich des Erstellens und Hosten von digitalen Dialogräumen in Zeiten physischer Distanz ist exponentiell gewachsen. Obwohl wir den Begriff "Zoom-Müdigkeit" in unser Vokabular aufgenommen haben, haben viele von uns die Erfahrung gemacht, dass diese virtuellen Räume für die gemeinsame Reflexion und Sinnfindung nützlich sein können. CoronaCircles sind selbstorganisierte Kreise, die sich einmalig oder wiederholt in der gleichen Konstellation treffen. Die Anmeldung ist benutzerfreundlich gehalten. Sie bringt potenziell Menschen zusammen, die normalerweise im Alltag nicht miteinander in Kontakt stehen, und ermöglicht ihnen einen Blick über den eigenen Tellerrand. Als solches kann sie Inklusion und Empathie fördern. Vor allem in der Anfangszeit haben wir sehr berührende Rückmeldungen von Menschen erhalten, die an einem CoronaCircle teilgenommen hatten. Die Treffen mit Teilnehmenden aus verschiedenen Kontinenten haben das Bewusstsein gestärkt, dass dieser Lockdown eine globale Herausforderung ist, und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass zwar alle betroffen sind, es aber nicht richtig ist zu behaupten, dass wir alle im selben Boot sitzen. Wir befinden uns im selben Sturm. Da der Sturm noch nicht vorbei ist, laden wir herzlich ein, einen CoronaCircle anzubieten oder einem beizutreten und andere Menschen davon wissen zu lassen.

Vielen Dank an alle, die uns geholfen haben, die Vision einer freien, open source Plattform für selbstorganisierte Kreise zu manifestieren.

______________________________________

Die Django-App

Für diejenigen mit etwas IT-Hintergrund: Wir haben eine Funktion entwickelt, die in bestehende Webseiten integriert werden kann, so dass Besucher ein Event erstellen können, andere sich dafür anmelden können und alle E-Mails mit Links zu automatisch erstellten Videokonferenzräumen erhalten. Diese Funktion kann für alle Non-Profit-Initiativen genutzt werden, bei denen sich Menschen online selbst organisieren und miteinander sprechen wollen. Wir haben diese Funktionen in einer Open-Source Django App zusammengefasst:

- Das Git-Repository finden Sie auf Github: https://github.com/CoronaCircles/arrange_videochat

- Das Paket auf PyPi: https://pypi.org/project/arrange-videochat/

- Den kompletten Quellcode unserer Website können Sie hier einsehen: https://github.com/CoronaCircles/coronacircles/extract.

Hellinckx.jpeg

Über die Autorin: Griet Hellinckx wurde in der Nähe von Brüssel geboren. Ein Stipendium brachte sie im Alter von 22 Jahren nach Deutschland. Als Lehrerin, Moderatorin, Trainerin und Mentorin arbeitet sie seit fast 40 Jahren mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Sie sieht die gegenwärtige Situation als einen Weckruf, der uns hilft, uns der Tatsache bewusst zu werden, dass wir als Menschheit eins sind - global miteinander und auch mit Mutter Erde vernetzt. Sie interessiert sich sehr für Formen der Vernetzung und Spiritualität, die dieses Bewusstsein fördern und sowohl individuelle als auch kollektive Heilung, Wachstum und weises Handeln unterstützen. Dementsprechend beschäftigt sie sich mit der Ausbildung entsprechender Fähigkeiten, der Entwicklung neuer Formate und der Vernetzung. Griets Website ist: http://re-connect.net/